Das Geheimnis des Alchimisten

Ururururururururururururururgroßonkel Sigmund Wann (ca. 1395 – 1469) war eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des Fichtelgebirgsraums. Bis heute ist der Ursprung seines außerordentlichen Reichtums (sowie die geheimnisvolle Herkunft seiner Frau) ungeklärt und der Stoff von Legenden.

Obwohl ungewöhnlich viel geschichtliches Material über ihn zu finden ist, gibt es nur wenige gesicherte Angaben. Der Name „Sigel Wann“ taucht erstmalig im Jahr 1409 im Zusammenhang mit einer Rechnung seines Vaters, des Blechzinners Hans Wann, auf. Bereits dessen Vater, ebenfalls ein Hans Wann, war sehr wohlhabend und spätestens seit 1394 Ratsbürger in Wunsiedel. Er hatte sein Vermögen krisensicher u.a. in Grundbesitz angelegt, den er dem ansässigen Adel abgekauft hatte.

Sigmunds Wanns Portrait aus der St. Nikolaikirche in Eger (Quelle und heutiger Standort: Fichtelgebirgsmuseum Wunsiedel)

Der junge Sigmund erlernte von seinem Vater das „Beckenhandwerk“, die Berufsbezeichnung der Blechzinner zu dieser Zeit. In den Blechzinnereien Wunsiedels wurde das im Fichtelgebirge geschürfte Zinn als dünne Schicht zum Rostschutz auf die entzunderten „Schwarzbleche“ gezogen. Diese „Weißbleche“ fanden in ganz Europa regen Absatz und bescherten den Zinnereibesitzern hohe Gewinne. Bereits in der Wunsiedeler Stadtgeschichte von 1677 von Johann Georg Pertsch heißt es dann jedoch, dass Sigmund Wann sich, „wie man sagt“, anschließend auf das Bäckerhandwerk verlegt habe. Um sein Handwerk noch besser zu erlernen, soll er bis nach Venedig gegangen sein und dort eine Bäckerei betrieben haben. Hatte der Volksmund aus dem Blechzinner einen Bäcker gemacht (Becken → Bäcker)?

Gesichert ist, dass er um das Jahr 1430 den väterlichen Betrieb übernahm, was aus einer Steuerrechnung von 1431 hervorgeht. Dieser befand sich im nördlichen Teil der Ratsgasse. Nach dem Stadtbrand von 1607 wurde das inzwischen zum Alten Rathaus gewordene Gebäude nicht mehr erneuert, sondern man errichtete an seiner Stelle die „Fleischbänke“, die Verkaufsläden der Metzger, worauf sich für die Ratsgasse der Name „Fleischgasse“ bildete. Im Plan von 1834 sind die Fleischbänke sowie das Haus Nr. 133 am Krugelsbach gut zu erkennen – beide bildeten das Grundstück von Wanns Blechzinnerei.

In der Zeit um 1430 kümmerte Sigmund Wann sich vor allem um seine Nichten und Neffen – er hatte neben zwei Brüdern noch zwei Schwestern, von denen eine verstorben war. (Die andere Schwester ist unsere Vorfahrin im Stammbaum der Schlenks). Wenn nicht schon zuvor, so unternahm er spätestens ab diesem Zeitpunkt mehrere Geschäftsreisen, die ihn auch ins Ausland führten. Dabei legte er nicht nur den Grundstein für seine Karriere als erfolgreicher Handelsherr, sondern lernte auf einer der Reisen auch seine spätere Frau kennen.

Aufgrund reichlich vorhandener flüssiger Geldmittel, nahm Sigmund Wann in Wunsiedel und der Region eine bedeutende Stellung im Kreditgeschäft ein. Seine finanziellen Mittel stiegen nach seiner Eheschließung im Jahre 1437 noch einmal erheblich an: 1438 liehen er und seine Frau „Katharein“ der Stadt Wunsiedel 1.000 Gulden und der Stadt Eger 4.000 Gulden. 1439 bekam der Markgraf von ihm (weitere) 300 Gulden. 1440 finanzierte er mit 700 Gulden Stiftungskapital eine Messe in der Pfarrkirche von Wunsiedel.

Was war der Grund für diesen Reichtum, und welche Rolle spielte seine Frau? Lag es an der Mitgift, einer Erbschaft oder den alchimistischen Fähigkeiten, die ihr zugeschrieben wurden?

Bereits 1542, also etwa 70 Jahre nach Sigmund Wanns Tod, heißt es bei Caspar Bruschius:

Das stettlein hat nichts von sunderlichem gepew den‘ ein herrlich vn‘ reich spital / welches gestifft vnnt gepawet ist / Anno domini 1467 von eine‘ der statt burger / Sigmund Wan‘ gena’dt / doch da er dz spital gestifft hat / er ein burger zu eger gewest. Dieser hat ein weib Barbara gena’dt / war ein Venedigerin / der Alchemey hoch erfarn / kunt das silber vnd goldt vom zin scheiden: vberkam damit vnzelige grosse reichtumb. Vnnd seitemal er kein kindt hette / pawet er dises spital / […]

Caspar Bruschius: Des Vichtelbergs […] gründliche Beschreibung, 1542

Auch wenn Bruschius sich hier offensichtlich beim Namen irrte, so kann es sein, dass Sigmund Wann seine Frau tatsächlich in Venedig kennengelernt hat. Zwischen 1409 und 1431 gibt es keinen Hinweis auf eine Anwesenheit Sigmund Wanns in Wunsiedel. Es liegt nahe, dass er in Venedig nicht nur seine Kenntnisse als Blechzinner erweitern wollte, sondern ebenso und vielleicht vor allem sein kaufmännisches Wissen. Der in der damaligen Zeit beste Ort dafür war das Fondaco dei Tedeschi in Venedig, der „Hauptort des frühen Kapitalismus und der hohen Schule des deutschen Großhandels“ (A. Zechel). Nicht zuletzt war Italien der Geburtsort der Doppelten Buchführung („Venezianische Methode“) gewesen, die mit dem 1494 in Venedig gedruckten Buch ‚Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità‘ von Luca Pacioli schließlich auch außerhalb Italiens bekannt wurde.

Jacopo de’ Barbari: Riesenholzschnitt mit dem dreidimensionalen Plan von Venedig aus der Vogelschau, um 1500.
Aus dem dicht bebauten Stadtgefüge hebt sich deutlich der Verlauf des lebhaft befahrenen Canal Grande heraus. Nur an einer Stelle wird er von einer Holzbrücke überspannt. Dort, unmittelbar am Rialto und neben dem mit »Fontico dalamanj« bezeichneten Gebäude liegt der Fondaco dei Tedeschi. Der Handelshof brannte 1505 ab, wurde aber zügig wieder aufgebaut. (Quelle: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg → Gesamtes Bild sowie ausführliche Beschreibung)

Der im 13. Jahrhundert entstande Fondaco dei Tedeschi war die zentrale Basis deutscher Kaufleute für Italien und den Mittelmeerraum und glich einer Stadt in der Stadt. Im „Handelshof der Deutschen“, zu dessen Ausstattung neben Handwerkerläden eine Weinschenke und eine Kapelle gehörten, konnten gleichzeitig mehr als 100 Fernhändler unterkommen, die teilweise monatelang hier lebten, wozu noch einmal die gleiche Zahl an Beschäftigten kam, die zumeist ebenfalls der deutschen Sprache mächtig waren. Deutsche brachten u.a. Metalle wie Gold, Silber und Zinn auf dem Landweg nach Venedig und führten als Rückfracht Gewürze und Luxuswaren in die eigene Heimat zurück. Die Reise von Nürnberg nach Venedig dauerte Mitte des 15. Jahrhunderts normalerweise 10-13 Tage. Der Fondaco galt als eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Stadt: Der jährliche Umsatz wurde Mitte des 15. Jahrhunderts mit einer Mio. Dukaten angegeben (entspricht 800.000 rheinischer Gulden).

Raphael Custos: Domvs Germanorvm emporica, 1616.
„Nur für Hochteütsche Kauffleüt ist Dis Hauß erbawt vor alter frist.“
(Quelle: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)

Die meisten Deutschen wohnten in der direkten Umgebung des Fondaco dei Tedeschi, am Ostufer des Canal Grande. Dennoch verteilten sie sich in diesem Bereich, schienen also gut integriert zu sein. Ein großer Teil der ansässigen deutschen Handwerker waren Bäcker (wie übrigens auch heute noch). Insgesamt lässt sich die Zahl der Deutschen in Venedig im 15. Jahrhundert auf einige Tausend schätzen (bei einer Einwohnerzahl von 100.000-110.000).

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Bei der nahegelegenen Bartholomäuskirche befand sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts insbesondere für die Makler des Fondaco eine deutsche Sprachschule, die von einem Georg von Nürnberg betrieben wurde. Sein noch erhaltenes italienisch-deutsches Sprachbuch von 1424 gibt einen Einblick in die damalige Sprache und in Alltagssituationen. Auf Folio 99r findet sich ein Gespräch zwischen jungen Männern, die zunächst etwas trinken gehen wollen, sich dann aber mit dem venezianischen Nachtleben beschäftigen. (Venedig war damals die Hauptstadt der käuflichen Liebe – vorrangig im Rialto-Viertel westlich des Canal Grande; rund ein Zehntel der venezianischen Bevölkerung arbeitete in der Prostitution.) Alle Gesprächspartner haben Lust, zu ihren Mädchen bzw. Kurtisanen zu gehen, aber keiner will letztlich den anderen zeigen, welche es genau ist:

Esy andero puo achasa mia affar cholazionVnd so gebïr den zw Meim Haws ein trunck tuen
Questo e anche ben ditodaz ist euch wol geredt
Va doltrage fur dich
Nuj te uigneremo driowïr berden dir nachchumen
brigada e ue don vn partidoIr herrn ich gib euch ein getailcz [= alternative]
Che hognomo mostra la so donadaz ieder man sein pulen [= buhlin] zaig
Oche nuj se bagnemo qua tuti q(uan)tioder daz wir vns hie alsampt paden [= baden]
fadi qual uuj uoleTuet weligs ir wölt
Eso de zerto che piero vsa i(n) questa chontrada p(er) vna bella mamolaIch waiz gebizleich daz der peter in diser gaß ein hubsche tochter frewt [= freit, mit … treibt]
Ecrezo che nuj tuti quanti vsemo qua p(er) don(n)eIch gelaub daz wir alsampt hie pulen durch frawen willen
ben che nessun uoio mostrar la sua alaltrowol daz einer dem andern sein pulen nicht zaigen wol
Andemo adormir ele meio le note son chortege wïr sloffen ez ist pesser die nacht sein churcz
Quelle: Georg von Nürnbergs italienisch-deutsches Wörterbuch von 1424

Alexander Schöppner schmückte in seinem ‚Sagenbuch der Bayerischen Lande‘ von 1852 die Geschichte Sigmund Wanns weiter aus (Bäckergeselle, siehe oben), wartete aber auch mit neuen Details auf. Er spricht von einer „Wahlin“, also einer Italienierin (Welschin), zudem wird betont, dass sie aus einfachen Verhältnissen kam.

Im Herbst 2020 tauchte eine lang verschollene Chronik des Johann Thomas Funk (Bürgermeister in Eger von 1740-1748) wieder auf, die wiederum eine ganz andere Sicht auf die Dinge wirft: „Sigismundus Wohn“ wurde „beÿ einen Venetianischen Becken-Meister untergebracht“ und war bald so beliebt, dass der Meister ihn „fast alle Sonn- und Feÿertäge“ zum Essen einlud. Wanns Meister war zu großem Reichtum gelangt. Als dieser aber sterbenskrank wurde, eröffnete er ihm, „wie er anjetzo gesinnet seÿe ihn zu einen Universal-Haben seiner Reichthumen einzusetzen doch mit dieser Bedingnisse, wann er nach seinen Tode die hinterlassene junge Wittibe heürathen wurde.“ Nach einer Bedenkzeit stimmte Sigmund Wann zu, „worauf der Kranke sein Testament verfertiget, alles in Richtigkeit gebracht, und kurtz darauf auch sein Leben getzudiget hat.“

Nach einigen Jahren brach Sigmund Wann wieder nach Deutschland auf. Seine Frau, „weilen sie ihn sehr liebte, auch ihren willen dazu gabt, verkauften derowegen ihre liegende gütter, mobilien und Hausgeräthe, und zogen mit grossen Reichthumen, und gleicher Wissenschaft Silber und Gold aus anderen Metallen herauszuziehen, und zu Schaÿden in Teütschland, und langeten endlich zu Eger an.“

Auch wenn in dieser Überlieferung statt von einer Dienstmagd von der Frau eines Bürgers die Rede ist, so findet sich erneut der Hinweis auf die alchimistischen Künste, durch die sie ihrem Mann Reichtum verschaffte. Zum einen ist durchaus verständlich, dass das Volk sich den großen Reichtum Wanns erklären wollte und dazu die in unterschiedlichen Varianten nachgewiesene Venediger-Sage bemühte (vgl. H. Habel).

Venedigermännle (Quelle: Bayerischer Rundfunk)

Andererseits ist es möglich, dass Wanns Frau auch Kenntnis von Verfahren hatte, mit denen sich Gold und Silber von unedlen Metallen scheiden lassen konnten, wie z.B. der Amalgamation:

Johann Beckmann, Beiträge zur Geschichte der Erfindungen (1780)

Das Verfahren war im 15. Jahrhundert offensichtlich nicht allgemein bekannt, wie Funks Chronik zeigt, obwohl es bereits in der Antike eingesetzt wurde. Immerhin wurden in der Blütezeit des Goldbergbaus im Fichtelgebirge (Goldkronach) im frühen Mittelalter ausschließlich die oberflächennahen, goldreichen Bereiche abgebaut. Aus diesen konnte das Gold mit klassischen Verfahren extrahiert werden (Kleinmahlen des Gesteins und anschließendes Auswaschen). Auch die Zinnseifen bei Wunsiedel hatten zeitweise etwas Gold geliefert, eine Ausbeutung war aber nicht wirtschaftlich. Erst später – der Bergbau in Goldkronach war gegen Ende des 15. Jahrhunderts bereits zum Erliegen gekommenen – wurde bei Erz mit niedrigem Goldgehalt das Amalgamationsverfahren verwendet. Einen Hinweis darauf gibt die ehemalige Quickmühle in Goldmühl (heute Ortsteil von Bad Berneck), die Alexander von Humboldt 1793/1794 als Quartier diente. Mitte des 16. Jahrhunderts war sie als Amalgamierwerk (daher „Quickmühle“) errichtet worden, in dem Gold aus durch Pochen zerkleinertem Erz mit Hilfe von Quecksilber herausgelöst wurde.

Markgraf Johann, gen. Alchymista (1403-1464)

Welche Rolle die Alchemie auch spielte, bekannt ist, dass sich Sigmund Wann in den folgenden Jahren nicht mehr nur auf den Verkauf von Zinnblech beschränkte, sondern ein regelrechtes Handelsimperium aufbaute, mit Aktivitäten im Erz- und Steinkohleabbau, Betrieb einer Zinnschmelze, Herstellung von Gebrauchsgegenständen, Weinhandel und vor allem dem Kreditgeschäft. Der wirtschaftliche Niedergang Wunsiedels während der Hussitenkriege beschränkte seine Möglichkeiten, sich wirtschaftlich zu entfalten. Daher erwarb er sich im Jahre 1444 mit 3.500 Gulden von Johann „Alchymista“, Markgraf zu Brandenburg und Burggraf zu Nürnberg, die Erlaubnis, sein Vermögen aus dem Land abzuziehen. Wie auch Wann interessierte sich Markgraf Johann für die Alchemie, insbesondere die Schmelz- und Scheidekunst.

Sigmund Wann ließ sich zwei Jahre später in der Reichstadt Eger nieder, die reichsweite Zollfreiheit garantierte. Der Stadt Wunsiedel vermachte er sein Wohnhaus in der heutigen Alten Ratsgasse (jetzt: „Neue Apotheke“). Obwohl er als Fernkaufmann und Bankier sicher nie ein Wucherer gewesen ist, war ihm als frömmiger Mann bewusst, dass er die erzielten Gewinne Gott zu verdanken hatte: Zinsgewinne aus Kreditgeschäften stammten aus dem unerlaubten Handel mit Gottes Gut, der Zeit. Das schlechte Gewissen und die Angst um sein Seelenheil führten wohl zu dem Plan, in seiner Vaterstadt Wunsiedel ein Spital für zwölf „in Ehren verarmte“ Einwohner zu bauen. Auch wenn es darüber einige schwere Konflikte mit den Wunsiedelern zu lösen gab, so war es auch eine Möglichkeit, sein Ansehen in der Bevölkerung ob seiner „Zauberei“ und seiner geheimnisvollen Frau zu verbessern.

„Hoſpital in Wunſidel wird mittelſt der Alchymie erbauet u. geſtifftet von Sigmund Wann.“

Johann Christoph von Pachelbel-Gehag: Ausführliche Beschreibung Des Fichtel-Berges, 1716

Als Grundlage seiner wichtigsten Stiftung legte Wann am 1. Februar 1451 einen Betrag von 8.000 Gulden bei der Stadt Eger an. Von den jährlichen Zinsen von 330 Gulden sollten 300 Gulden zur Verpflegung, Kleidung und Unterbringung der Spitalbrüder und 30 Gulden für die Besoldung des Spital-Priesters verwendet werden. Noch heute bildet die rund 70 Hektar umfassende landwirtschaftliche Nutzfläche zusammen mit den Einkünften aus weiterem Haus- und Grundbesitz die wirtschaftliche Grundlage der von der Stadt Wunsiedel verwalteten Hospitalstiftung, die gegenwärtig ein Seniorenheim betreibt.

Auf die Tilgung seiner Sündenstrafen bedacht, trat Sigmund Wann auch in Eger als Wohltäter auf. Er spendete ansehnliche Summen für soziale Zwecke und die Erweiterung der Pfarrkirche St. Niklas. Überliefert ist die Geschichte, wonach Wann die Arbeiter mit Münzen, die er auf der Baustelle versteckt hatte, motivierte und die Arbeiten an der Kirche so zu einem glücklichen Abschluss kamen.

J. T. Funks Chronik endet mit einem Hinweis auf Sigmund Wanns alchimistisches Treiben in der Doppelkapelle der Egerer Burg: „In der Eberhardischen Chronick … finde ich, das oben in einem winkel ein gemach zu sehen seÿe, allwo weÿlandt Sigmund Wohn sich aufgehalten, und seine Alchimiam getrieben.“ Die Doppelkapelle der Hl. Erhard und Ursula aus dem 12. Jahrhundert ist eines der sehenswertesten Baudenkmäler der Frühgotik in Mitteleuropa. Sie besteht aus einer Unter- und einer Oberkapelle, verbunden durch eine achteckige Öffnung. Durch eine Wendeltreppe neben der Sakristei gelangt man von der Oberkapelle in ein Gemach mit einem Kamin im Renaissancestil, das Sigmund Wann demnach als alchimistische Küche benutzt hat. Den erhaltenen Sagen nach befasste er sich nicht nur mit Herstellung von Gold und mit Wahrsagen mittels Kristallkugel, sondern wusste auch das wahre Glück zu erfassen und damit zum Beispiel ehrwürdige und vermögende, jedoch seelisch arme Leute zum Glücksfund zu inspirieren (siehe „Transmutation der Psyche“).

„Vnd weiter ſage ich euch / Es iſt leichter / das ein Kamel durch ein Nadel öhre gehe / Denn das ein Reicher ins reich Gottes kome.“ (Mt 19, 24)

Martin Luther: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, 1545

Sigmund Wann verstarb nach einem langen Leben am 11. Mai 1469 (Himmelfahrt) fast mittellos. Sein restliches, bescheidenes Eigentum hatte er seinen beiden Mägden, dem Laufburschen Kaspar und vor allem seinem treuen Diener Balthasar vermacht. Erben hatte er keine, seine Frau war vor ihm gestorben. Er wurde in der St. Niklaskirche bei dem von ihm gestifteten Kreuzaltar begraben. Bis 1894 lehnte am Kreuzesstamm des Altars das am Anfang dieser Seite abgebildete Portrait, das Sigmund Wann wie einen Dominikaner gekleidet zeigt.

(Quellen u.a.: Elisabeth Jäger, Wunsiedel I. Band 1163-1560; Hubertus Habel, Sigmund Wann – Kaufherr und Bruderhausstifter; Cecilie Hollberg, Deutsche in Venedig im späten Mittelalter; Frankenpost vom 18.01.2021)